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Verheerende Konsequenzen eines PFAS-Pauschalverbots

Viele Unternehmen sitzen bereits auf gepackten Koffern, ihre Investitionsentscheidungen sind getroffen. Dieses ist aber leider kein Roman, in dem Deutschland per Anhalter durch die Galaxis reist, sondern die harte Realität. Deutschland ist gerade erneut dabei, sich in multiple internationale Abhängigkeiten zu begeben und seinen Abschied aus dem Kreis der Industrienationen vorzubereiten.

Was der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, schon länger wusste und durch entsprechende Aktivitäten mit der Absage an die Perfluorchemie auf dem Brüsseler Parkett auch initiiert hat, bestätigte jüngst Udo Philipp, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Dieser war am 28. Juni 2023 zunächst im Industriepark Höchst zu Gast, einem der größten Standorte für die Chemieindustrie in Europa. In der darauf folgenden Diskussion mit den Vertretern verschiedener Industriezweige ging es auch um das PFAS-Verbot. Nachdem sich in den vergangenen Monaten landauf, landab die verschiedenen Branchen daran abgearbeitet hatten, die pauschale „One fits all“-Verbotspolitik der European Chemicals Agency (ECHA) in Sachen PFAS wissenschaftlich zu beleuchten und die Konsequenzen für die Menschen in Sachen Medizin, Energiewende und Sicherheit herauszuarbeiten, verwies Philipp auf die Zuständigkeit des Umweltministeriums und betonte, dass eine Intervention in Brüssel sehr schwierig und nicht von kurzfristigem Erfolg gekrönt sei. Lediglich eine Verlängerung von Übergangszeiten sei mittelfristig realistisch.

Wie immer man auch eine Äußerung gewichtet, dass für die Verhinderung wirtschaftlicher Kollateralschäden einer verfehlten EU-Chemikalienpolitik das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) nicht der richtige Ansprechpartner ist, wird doch zumindest jetzt Klartext gesprochen: Das Verbot kommt – maximal mit längeren Übergangsfristen. Unternehmen, die in ihrem Produktportfolio auf Fluorchemie in Ermangelung funktionsgleicher Alternativen nicht verzichten können, werden gezwungen sein, sich – wenn schon nicht in anderen Galaxien – dann zumindest in außereuropäischen Ländern umzusehen, die genau diese Sparten aktuell aufbauen und fördern.

Perfluoralkylsubstanzen (PFAS) zeichnen sich unter anderem durch ausgezeichnete Dauerbelastbarkeit, sehr gute Chemikalienbeständigkeit, beste Gleiteigenschaften als auch durch chemikalien-, wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften aus.

Das Charakteristikum von PFAS, nicht abbaubar zu sein, ist in unzähligen Erzeugnissen genau die gewünschte und unverzichtbare Eigenschaft, die deren Funktionieren erst sicherstellt. Doch da es eben jene Eigenschaft ist, die neben der chemischen Struktur das Verbot dieser Stoffe initiiert hat, ist das Forschen nach Alternativen mit demselben Eigenschaftsprofil nahezu aussichtslos – auch sie wären persistent und würden aus den gleichen Gründen verboten werden.

Von dem von der ECHA, der European Chemicals Agency, angestrengten Verbot der Alkylsubstanzen sind rund 10.000 Substanzen betroffen – allerdings wurde diese Auswahl nicht aufgrund von konkreten Laborprüfungen getroffen, sondern basiert einzig auf chemischen Strukturmerkmalen. Damit gibt man den bisher geltenden risikobasierten Ansatz zu Gunsten eines gefahrenbasierten auf, so dass ganze Stoffgruppen mit einem Federstrich verschwinden können. Auch Deutschland hat über das Umweltbundesamt – neben Dänemark, Norwegen und Schweden und den Niederlanden – diese Verbotsinitiative in Brüssel gestartet und ausdrücklich unterstützt – lässt dabei allerdings die Folgen auf Schlüsseltechnologien wie beispielsweise die grüne Energiewende komplett außer Acht. Lithiumbatterien, Windräder, Brennstoffzellen, Computerchips – für PFAS existieren aktuell zumindest in Hightech-Anwendungen keine Alternativen. Zugrundeliegende Emissionsszenarien bezeichnen Fachleute als bestenfalls geschätzt, als weder wissenschaftlich noch mathematisch nachvollziehbar.

Welche Konsequenzen hätte ein solches Generalverbot für Produkte im industriellen EinsatzEinige Beispiele:

Medizintechnik

Sowohl der Bundesverband Medizintechnologie e.V. als auch SPECTARIS – Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik e.V. – bezeichnen viele der von dem drohenden Verbot betroffenen Substanzen als unverzichtbar und alternativlos. Nachdem die EU-Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte, kurz EU-MDR, seit dem 26. Mai 2021 von Medizintechnik-Unternehmen verbindlich anzuwenden ist und den Markt bereits erheblich verzerrt hat, kommt mit den PFAS-Verboten die nächste Hürde. Die Kosten für die Zulassung und damit den Markteintritt neuer Produkte durch die EU-MDR haben sich mehr als verdoppelt, Nischenprodukte bleiben zunehmend auf der Strecke. Im Gegensatz zu den USA, wo einmal zugelassene Produkte auch zugelassen bleiben, müssen europäische Bestandsprodukte in festen Zyklen erneut in die Zertifizierung. Hersteller nehmen deshalb nicht so häufig verwendete Fabrikate vom Markt und stehen Neuzulassungen, die nicht für einen Massenmarkt geeignet sind, sehr skeptisch gegenüber. Europäische Produkte werden durch US-amerikanische ersetzt.

Die auf technische Textilien spezialisierte Industrie liefert unter anderem gestrickte Stents mit PTFE-Membran für die Kinderkardiologie. Die Zulassung wird es dafür unter dem Doppelfeuer EU-MDR & PFAS-Verbot kaum noch geben. Ballonkatheter für Kinder wurden bereits vom Markt genommen, die Sterblichkeit hat sich erhöht, und die Kinderchirurgie entwickelt sich rückwärts.

Schutzausrüstung

Schusssichere Westen aus mehrlagigen p-Aramid-Fasern für Polizei und Streitkräfte wird es künftig mit dem PFAS-Verbot nicht mehr geben. Ohne eine PFAS-basierte Ausrüstung zur Wasserabweisung versagen sie beim Nassbeschuss, denn Wasser wirkt als Gleitmittel für das Projektil. Fluorfreie Alternativen wie fettmodifizierte Silikone, Wachse sind nicht einsetzbar, weil sie ebenfalls als Gleitmittel wirken.

Öl- und wasserabweisende Schutztextilen für Feuerwehr und Einsatzkräfte, beispielsweise auf der Basis von Aramid-Fasern und E-PTFE-Membranen, sind seit dem 04. Juli 2023 Geschichte – die Ausnahmeregelungen sind ausgelaufen. Aber da zusätzlich die Beschränkungen für Faserlösemittel (DMAc, DMF, NMP) die letzten Produktionsstätten für Aramidfasern in der EU bedrohen, ist diese zusätzliche Hürde eher vernachlässigbar.

Mobilität

Im Flugzeugbau und in der Automobilelektronik werden hochsicherheitsrelevante öl- und chemikalienabweisende Druckausgleichsmembranen benötigt. Produziert werden sie aus bestimmten Fluor-Fasern – Polytetrafluorethylen PTFE. Ohne Druckausgleich versagt die Elektronik und führt zum Ausfall – was nicht erst in 30.000 ft eine beängstigende Vorstellung ist.

Die Automobilindustrie verbaut rund 3.000 PFAS-relevante Teile in ihren Fahrzeugen. Das Pauschalverbot bedeutet eine ernsthafte Gefährdung dieser Industrie und ihrer Zulieferer – mit zehntausenden Arbeitsplätzen.

Textilmaschinenbau

Endlich – über das PFAS-Verbot kann jetzt auch der ungeliebten Veredlung in der Textilindustrie – ungeliebt, weil energieintensiv und auf chemische Hilfsmittel angewiesen – deutlich Einhalt geboten werden. So sind beispielsweise Färbemaschinen, die unter hohem Druck bei Temperaturen von bis zu 140 °C mit hochsauren, hochbasischen und/oder oxidativen oder reduktiven Chemikalien arbeiten, auf PFAS für Ringe, Dichtungen, Klappen und Ventile angewiesen. Und auch dafür gibt es keine qualitativ gleichwertigen Alternativen.

Industrietextilien

Abluftfilter mit PTFE-Membranen oder aus PTFE-Fasern stellen in der Müllverbrennung und in Zementwerken den Umweltschutz sicher, so dass keine Schadstoffe in die Atmosphäre gelangen – noch.

Membranen für Wasserstoff-Brennstoffzellen, Wasserstoffelektrolyseure, Lithium-Ionen-Batterien aus Karbonfaservliesen und der fluorchemischen Protonenaustauscher Nafion-Membran sind in Zukunft verboten. Damit bleiben die Pläne für die Wasserstoffenergiewende wohl dauerhaft weiter da, wo sie aktuell schon sind – in der Schublade.

Treppenwitz am Rande: Ausgenommen vom PFAS-Verbot sind die Pharmazie und die Agrarchemie. Kurz gesagt – schlucken und essen darf man PFAS anscheinend. Darauf sitzen, sich schützen und Leben retten offensichtlich nicht. Bis auf wenige längere Ausnahmeregelungen sind 18 Monate als Übergangsfristen vorgesehen – ein ausreichendes Zeitfenster, um die Produktion in Europa abzuwickeln und nach neuen Standorten zu suchen, beispielsweise in den USA. Dort wird die Fluorchemie als Schlüsseltechnologie massiv aufgebaut und das kostbare Gut mit Exportverboten belegt.

In absehbarer Zeit, wenn das undifferenzierte PFAS-Verbot wirksam ist, wird Deutschland zu seinen bereits bestehenden Lieferabhängigkeiten neue hinzuzufügen haben. Was ein solcher Ansatz mit dem gegenwärtig wohlfeilen De-Risking zu tun hat, vermag die Politik sicherlich wortreich zu erklären. Aber es sind nicht nur wirtschaftliche Abhängigkeiten von autoritären Regimen wie China fatal, sondern auch von anderen Staaten, weil man das Innovationsvermögen der europäischen Industrie herschenkt und ihnen den Markt überlässt – mit allen preislichen und wettbewerblichen Konsequenzen. Ob man ein solches Vorgehen schlicht ideologisch getrieben oder einfach naiv, leichtsinnig und dumm nennt, darüber wird spätestens die nächste Generation ihr Urteil fällen, wenn sie mit den Konsequenzen des Niedergangs unserer Industriekultur leben muss.

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