Ich denke, dass all jene, die heute noch davon ausgehen an der Digitalisierung vorbei zu kommen, weil man die Dinge „immer schon so gemacht hat“, spätestens jetzt den Anschluss zu verlieren drohen. Alle Branchen und Berufe digitalisieren sich gegenwärtig und die Herausforderungen in diesen Wochen wirken wie ein Brennglas auf diese Effekte. Das hat natürlich etwas damit zu tun, womit man sein Geld verdient. Unternehmen oder Unternehmer, die eher physische Rohstoffe bewegen, schalten plötzlich vermehrt Videokonferenzen, um noch mit ihren Kunden in Kontakt zu bleiben – aber ein Bauunternehmen bewegt dennoch weiterhin Tonnen an Rohstoffen. Je mehr das eigene Unternehmen oder der eigene Job jedoch mit dem eigenen Wissen zu tun hat – desto mehr Fahrt nimmt die Digitalisierung momentan auf. Das tut sie eigentlich seit 20 Jahren, aber die Gefahr, den Anschluss zu verlieren wächst jetzt noch einmal schneller. Freiberufler sind dabei in meiner Wahrnehmung überdurchschnittlich betroffen. Als Experten verkaufen Sie oft ihr Wissen an andere Menschen. Und das ging lange sehr gut im Face-to-face. Übrigens war das schon lange nicht mehr unbedingt der Weisheit letzter Schluss; die Digitalisierung des eigenen Wissens bringt auch in Zeiten guter wirtschaftlicher Lage erhebliche Wettbewerbsvorteile für Wissensarbeiter.
Gleichwohl löst die Digitalisierung bei vielen Menschen ein Unbehagen aus. Woher kommt das aus Ihrer Sicht?
Vielleicht könnte man etwas provokant sagen, dass all das verschiedene Formen von Verdrängung darstellt. Viele Menschen fühlen sich sicher, in dem was sie haben und in den Strukturen, die sie kennen. Aber gerade da kehrt sich gerade viel um. Der sichere Nine-to-five-Job führte plötzlich ganz schnell in die Kurzarbeit, Freiberufler wie Coaches und Redner können plötzlich nicht mehr gebucht werden, weil der Lockdown sie ins Homeoffice zwingt. Online-Marketing hat in vielen Bereichen enorme Umsatzzuwächse erlebt. Ich kenne eigentlich kaum Kollegen, die wirklich gut digital aufgestellt sind und schon vorher ihre Kunden auf diesen Wegen erreicht haben, die jetzt nicht gute Zeiten erleben. Wer schon vor der Wirtschaftskrise seine Kontaktkanäle und sein wertvolles Wissen digitalisiert hat, der hat jetzt wenig Probleme oder profitiert sogar. Jetzt nachzujustieren ist da etwas schwieriger.
Gleichzeitig fehlt eine gewisse Offenheit dafür, seinen Job und sein Geschäftsmodell digital zu denken. Mich beeindrucken zutiefst Menschen wie ein Vermessungsingenieur, den ich vor der Krise beraten habe, sein bestes Wissen zu digitalisieren. Es ist nicht unbedingt intuitiv, das Baugewerbe, dem er zugehört, einmal völlig digital zu denken und wirklich Prozesse im Sinne der kreativen Zerstörung neu zu denken. Aber genau da liegt die Chance. Er löst jetzt digital ein Problem, dass viele Kollegen von ihm hatten und haben. Die Basis liefert sein tiefes Wissen über seine Branche und deren Herausforderungen.
Welche Schlüsse sollte man als Unternehmer daraus ziehen?
Jeder Freiberufler sollte sich genau ansehen, was der Kern seines Wissens ist. Die Schlüsselfragen sollten sein: Warum buchen mich meine Kunden? Welche Probleme kann ich für sie lösen? Und wie kann ich das auch digital für sie erreichen. Es war noch nie so einfach wie heute, die Technik, die Sichtbarkeit und die frei skalierbare Erreichbarkeit zu erlangen, sein Wissen zu Geld zu machen. Kartieren Sie einmal Ihr Wissen nach den genannten Fragen. Die zentrale Motivation kann sein, aus dem Tausch von Zeit gegen Geld herauszukommen. Wer das einmal verstanden hat und den Weg gegangen ist, der blickt völlig anders auf die Wirtschaftskrise. Wahrscheinlich waren die Menschen, die heute schon in der vorteilhaften Lage sind, ihr Wissen digital anbieten oder den Vertrieb ihrer Produkte sehr weitgehend digitalisiert haben, sagen: Es ist eine gesundheitliche Krise, man darf privat nicht mehr alles tun. Aber wirtschaftlich hat es mich zum Glück nicht vor größere Herausforderungen gestellt.
Woran erkennt man denn, ob man mit seinem Business reif für die Digitalisierung ist als Freiberufler?
Das steht wie gesagt in einer gewissen Abhängigkeit zum Anteil an Wissen in der eigenen Wertschöpfung und hat daraus resultierend eigentlich zwei große Richtungen. Die erste hatte ich schon angedeutet: Ein Straßenbauunternehmen wird weiter große Maschinen bewegen und das nicht per W-Lan tun können. Aber dort lässt sich beispielsweise auch die derzeitige Krise noch ganz gut aushalten. Handwerksbetriebe, mit denen ich in der letzten Zeit gesprochen habe, berichten mir von gut gefüllten Auftragsbüchern und hervorragenden Arbeitsbedingungen in leeren öffentlichen Gebäuden. Hier scheint die Digitalisierung nicht unmittelbar notwendig, kann aber gerade deshalb, wenn man hier als Pionier auftritt, besondere Kraft entwickeln. Einzelhandel und Ladengeschäfte waren über Jahrhunderte unverrückbar gesetzt; jetzt schauen sie alle mit Ärger, Neid oder Missgunst auf Amazon, die, wie wir sagen, ein bestehendes Geschäftsmodell disruptiert haben. Wer sich nicht selbst fortlaufend von innen zerstört, der wird von außen zerstört.
Aber viel mehr augenscheinlich betroffen sind doch die Freiberufler, die ihr Wissen als Experten verkaufen. Und das ist die zweite große Bewegung gerade. Die Freiberufler treffen gerade ihre eigenen Kunden nicht mehr. Sie müssen sich fragen, wie groß die Erfolgsaussichten sind, nun digital zu werden. Und da gibt es zwei Größen, die ich immer abfragen würde: Wie sehr kann ich Wissen – das es auch als Folge der Digitalisierung in grenzenloser Menge online zu finden gibt – veredeln? Kann ich mich als Autorität für meine Wissensbranche positionieren? Und dann die zweite Frage: Kann ich mit meinem Wissen Relevanz gegenüber meinen Kunden erzeugen und digital transportieren. Wenn diese zwei Fragen gut beantwortet sind, dann stellt sich eine Frage nämlich nicht mehr: die Frage nach der Sichtbarkeit.
Was meinen Sie damit, die Frage nach der Sichtbarkeit stellt sich nicht mehr?
Nun, Sichtbarkeit ist eben auch ein Rohstoff, wie Mehl für den Bäcker geworden, im Übrigen durch die Möglichkeiten von Facebook, Instagram und Youtube auch ein ziemlich günstiger Rohstoff. Wenn man hier grobe Fehler vermeidet, dann kann man schnell sichtbar werden. Dann prüft der Kunde das Angebot anhand der Kriterien, die ich nannte: Relevanz und Wissensveredelung. Wie gut wird sein Problem gelöst und wie gut wird ihm für sein Problem eine Orientierung zur Lösung hin gegeben. Der Rest ist Technik, ziemlich einfache Technik, wenn man weiß, was man tut. Das Beste ist: Für jeden Schritt gibt es heute weit entwickelte Software. Als ich angefangen habe Online Marketing zu betreiben, musste man noch vieles selbst erfinden oder hochgezahlte Programmierer beschäftigen. Heute kann ich sagen: Es war noch nie so einfach, sich als Freiberufler zu digitalisieren und sein Wissen zu Geld zu machen.
Prof. Dr. Oliver Pott ist Seriengründer und Digitalisierungs-Vorreiter im deutschsprachigen Raum. Sein Unternehmen Blitzbox.de war 2003 der erste Software-Download-Shop Deutschlands. Zu diesem Zeitpunkt wurde Computer-Software ausschließlich im Regal in Boxen verkauft. Dieses Unternehmen hat Pott an den französischen Avanquest-Konzern verkauft und berät seitdem Freiberufler und Unternehmen zum Thema Digitalisierung.
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