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„Flüchtlingskrise“ und „Migrationspakt“

  • OBS-Studie untersucht Berichterstattung zum Migrationspakt 
  • Hat die überregionale Tagespresse Fehler der Flüchtlingsberichterstattung von 2015 wiederholt?
  • Ergebnis: Einige Zeitungen haben sich um vielstimmige Vermittlung des Konfliktthemas bemüht
  • Die Newssites der Zeitungsverlage boten eine deutlich höhere Informationsdichte als ihre Printausgaben 
  • Journalisten ausgewählter Lokal- und Regionalzeitungen bemühen sich um „Perspektivenwechsel“ und suchen Lesernähe 
  • Einstellung und Berufsverständnis bleiben Hürden, diagnostiziert Studienautor Prof. Michael Haller 

Gab es über den UN-Migrationspakt nichts zu diskutieren? Zwei Wochen vor der UN-Beschlussfassung kommentierte die Tageszeitung Die Welt: „Ganz unabhängig davon, wie man inhaltlich zu diesem Papier steht, ist doch alleine der Eindruck fatal, hier solle eine internationale Vereinbarung ohne politische Diskussion durchgewunken werden. Dass man diesen Eindruck entstehen ließ, ist umso unverständlicher, als seit dem Flüchtlingsherbst des Jahres 2015 das Misstrauen der Bürger gegenüber der Politik spürbar gewachsen ist“ (20. November 2018).

Wie konnte dieser Eindruck entstehen? Will man diese Frage beantworten, kommt man nicht umhin, die Rolle der meinungsführenden Medien zu betrachten: Haben diese es diesmal besser gemacht als die Politiker? Wurde frühzeitig über die Hintergründe des Migrationspaktes informiert? Wurden verschiedene Positionen auf den Prüfstand gestellt und diskutiert? Wurden auch Bedenken skeptisch eingestellter Bürgerinnen und Bürger zum Thema Migration einbezogen? Haben, mit anderen Worten, die Leitmedien aus dem Vertrauensschwund der Phase 2015/16 die Einsicht gewonnen, dass sie sich bei gesellschaftspolitischen Konfliktthemen um den öffentlichen Diskurs kümmern und eine zu starke moralische Aufladung der Berichterstattung vermeiden sollten?

Diesen Fragen geht jetzt Michael Haller in einer aktuellen Analyse nach. Er greift dabei zurück auf die Ergebnisse der groß angelegten Untersuchung über „Die Flüchtlingskrise in den Medien“, die die OBS im Juli 2017 veröffentlicht hat und die in der Fachöffentlichkeit eine zum Teil heftige Diskussion über die Rolle des Journalismus in Gang setzte. Stiftung und Studienleiter wollten wissen, ob die damalige Untersuchung in der Medienwelt Spuren hinterlassen hat – oder ob die Journalisten die Funktionskritik überwiegend abgewehrt haben. Der Frage wurde am Beispiel des UN-Migrationspakts nachgegangen. Sämtliche Berichte, die im zweiten Halbjahr 2018 von den tagesaktuellen Leitmedien online und Print publiziert wurden, wurden quantitativ und qualitativ geprüft. Als Ergebnis seiner Analyse deutet Michael Haller an, dass „einige Medienredaktionen die Art der Themenvermittlung verändert haben und vom Kathederjournalismus herabgestiegen sind“.

Lernprozesse spielen auch im zweiten Teil des neuen OBS-Arbeitspapieres eine zentrale Rolle. Die Veröffentlichung der Studie „Die Flüchtlingskrise in den Medien“ im Sommer 2017 hat nicht nur zu einer kontroversen Rezeption in der medialen Öffentlichkeit geführt, sondern war auch Anlass für verschiedene Lokal- und Regionalredaktionen, mit dem Studienautor ins Gespräch zu kommen. Dabei ging es immer wieder um die Frage, ob und wie die ermittelten Dysfunktionen in der konkreten redaktionellen Arbeit identifiziert und eventuell überwunden werden könnten. Auch hier sind Hallers Eindrücke gemischt: In vielen Redaktionen werde das Problem der Elitenabhängigkeit und der Bürgerferne erkannt, doch fehlten vielerorts die personellen Gegebenheiten, um nachhaltige Lernprozesse anzuschieben bzw. in Gang zu halten. „Die Redaktionen der von uns besuchten Lokalzeitungen kennen das strukturelle Problem der Bürgerferne sehr wohl. Sie verweisen darauf, dass viele Seiten des Lokalteils mittels relativ starrer Produktionsroutinen gefüllt werden“, sagt Haller. Vor allem rechercheintensive Problemthemen würden viel zu selten aufgegriffen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die 2017 konstatierte Sinn- und Strukturkrise der Mainstreammedien erkannt, aber keineswegs überwunden ist“, urteilt Michael Haller: „Die von den Journalisten beschriebene Wirklichkeit ist noch immer entfernt von der Lebenswelt eines wichtigen Teils ihres Publikums“.

Bei aller Manöverkritik dürfe eines aber nicht übersehen werden: „Viele Journalisten“, so betont Michael Haller, „recherchieren und schreiben herausragende Berichte auch über schwierige Konfliktthemen. Und manche Zeitungsredaktion kümmert sich um eine ausgewogene Berichterstattung, die auch Andersdenkende zu Wort kommen lässt.“

OBS-Geschäftsführer Legrand verknüpft mit dieser Publikation die Hoffnung, „dass die Ursachen des Bruchs im öffentlichen Diskurs weiter untersucht und bewertet werden“. Denn, so Forschungsleiter Haller und Stiftungs-Chef Legrand weiter, „das Anliegen dieser Studie gilt der Frage, ob und wie die Informationsmedien für Aufklärung sorgen und die gesellschaftliche Verständigung verbessern können.“

Michael Haller: Zwischen „Flüchtlingskrise“ und „Migrationspakt“ – Mediale Lernprozesse auf dem Prüfstand; OBS-Arbeitspapier Nr. 37, Frankfurt am Main; Mai 2019

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