Fernsehersatz mit zweifelhaftem Inhalt
„Da zwei Drittel der Jugendlichen in Deutschland täglich YouTube nutzen und zunehmend sogar kleinere Kinder sich hier Videos anschauen, muss der Befund unserer Analyse als besorgniserregend betrachtet werden“, sagt Prof. Dr. Lutz Frühbrodt, Mediensoziologe an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. „Wenn zuvorderst Comedy, Streiche, Online-Spiele und Schmink-Tipps das ‚Programm‘ beherrschen, dann wird den Heranwachsenden ein falsches Bild von der gesellschaftlichen Realität vorgegaukelt.“ Ganze vier der 100 Kanäle hätten informierenden Charakter, so Frühbrodt.
Eine herausragende Stellung auf den populärsten YouTube-Kanälen in Deutschland nehmen die sogenannten Influencer ein. So sind unter den Top-20-Kanälen allein 15 dieser digitalen Meinungsführer vertreten. Das Autorenteam Frühbrodt/Floren hält deren gesellschaftspolitische „Botschaften“ für fragwürdig. „So führen viele Influencer zum Beispiel ihrem meist sehr jungen Publikum Rollenbilder von Mann und Frau vor, die man für längst überwunden gehalten hat“, sagt Co-Autorin Annette Floren. „Die große Mehrheit predigt zudem einen ungezügelten Konsum. Dies zeigt sich zum Beispiel darin, dass bekannte Influencer Luxusprodukte wie teure Sportwagen und Designeruhren in aufreizender Pose präsentieren.“
Unterstützung für Influencer kommt von unerwarteter Seite
Profaner Konsumismus manifestiere sich aber auch in fast schon allgegenwärtiger Produktwerbung bei den Videos, diagnostizieren die Autoren. In einer Tiefenauswertung von 30 Videos zu konsumnahen Themen zeigte sich zudem, dass die große Mehrheit nicht gemäß den werberechtlichen Vorgaben gekennzeichnet war. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu wiederholten Aussagen der zuständigen Landesmedienanstalten, dass sich die Werbekennzeichnung von Influencer-Videos deutlich verbessert habe. Die Studienautoren haben die Politik der Medienanstalten in jüngerer Zeit analysiert und kritisieren diese als zu nachsichtig gegenüber schleichwerbenden Influencern. Die Behörden sollten in erster Linie die Verbraucher schützen, hätten sich aber bei gerichtlichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre tendenziell auf die Seite der Videoproduzenten und werbungtreibenden Wirtschaft gestellt.
„Die Medienanstalten könnten so in den Verdacht geraten, als Schutzpatron der Influencer-Branche zu agieren“, sagt Lutz Frühbrodt. Er fordert deshalb ein härteres Durchgreifen der Kontrollbehörden und hält es für sinnvoll, durch einige öffentlich gemachte Präzedenzfälle für mehr Abschreckung gegenüber Schleichwerbern zu sorgen. Parallel dazu müsste bereits in den Grundschulen dringend mehr Medienkompetenz vermittelt werden, so dass Heranwachsende auch verdeckte Formen von Werbung besser erkennen können. Hinter fast allen erfolgreichen YouTubern, das zeigt die Studie auch, stehen zudem professionelle Agenturen und Netzwerke, die bei der Produktion der Videos bis zu Vermarktung der Inhalte behilflich sind.
Alternativen zu YouTube notwendig
„Die zaghaften gesellschaftlichen Debatten über den Umgang und die Ansätze zur Regulierung dieser neuen Öffentlichkeit, die zurzeit erkennbar sind, greifen noch immer viel zu kurz“, gibt der Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, Jupp Legrand, zu bedenken. „Die Aufklärung darüber, was einzelne Plattformen wie YouTube tatsächlich sind und was sie nicht sind, muss weiter vorangetrieben werden“, so Legrand weiter, „und dazu gehört auch die Frage, wie die Förderung von anspruchsvollerem Content verstärkt und die Idee einer gemeinwohlorientierten Alternative zu YouTube konsequent weitergedacht werden kann.“
In der neuen OBS-Studie erfahren Sie außerdem
- wie Google/Alphabet YouTube von Anfang an als Werbeplattform aufgebaut hat,
- nach welchem Muster typische Influencer-Videos gestrickt werden,
- wie Kinder als sogenannte Mini-Influencer „arbeiten“,
- welche verschiedenen Geschäftsmodelle Influencer verfolgen und wie Influencer inzwischen auch weit über YouTube hinaus Geschäfte machen,
- welche professionellen Agenturen hinter den angeblichen Video-Amateuren stehen,
- wie ARD und ZDF auf die Abwanderung zu YouTube reagieren,
- und was zu tun ist, um diesen bedenklichen Entwicklungen entgegen zu steuern.
Otto Brenner Stiftung
Wilhelm-Leuschner-Straße 79
60329 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (69) 6693-2526
Telefax: +49 (69) 6693-2786
http://www.otto-brenner-stiftung.de/
Geschäftsführer
Telefon: +49 (69) 6693-2810
E-Mail: info@otto-brenner-stiftung.de
Autor
E-Mail: Lutz.Fruehbrodt@fhws.de