Unternehmen arbeiten am effizientesten, wenn sie gleichmäßig ausgelastet sind. Dann werden Verzögerungen bei der Auslieferung und Stress-Spitzen oder mangelnde Auslastung vermieden. Doch die Realität sieht oft anders aus – insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen: Plötzlich kommt ein Großauftrag rein oder aber ein Kunde bestellt nur noch halb so viele Teile wie vorgesehen. Solche größeren Veränderungen in den Abrufzahlen bringen die Planung stark durcheinander und bedeuten für die Unternehmen auch erhebliche Zusatzkosten. Die veränderte Produktion neu zu organisieren, kostet ebenso Zeit und Geld wie das Umrüsten der Maschinen. Die zuvor als optimal errechneten wirtschaftlichen Losgrößen sind plötzlich kontraproduktiv und haben Verzögerungen und unnötigen Lagerbestand zur Folge. Aus Sorge, Kunden zu verlieren, beugen sich insbesondere kleine und mittlere Betriebe aber dem Konkurrenzdruck und produzieren, wenn auch auf Kosten der Wirtschaftlichkeit, wie der Kunde es verlangt. Zudem sinkt durch häufige und kurzfristige Planungsänderungen die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter, weil die Überstunden fahren müssen.
Das Projekt AgiPro des Fachgebiets Fertigungstechnik der TU Ilmenau bringt kleine und mittelständische Unternehmen zusammen, um dieses Praxisproblem im Verbund anzugehen. AgiPro steht für „Agile deckungsbeitragsorientierte Produktion in vernetzten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)“. Die TU Ilmenau, die Berghof Group GmbH, ein Softwareentwickler aus Königsee, und die NOBLEX GmbH, Hersteller elektronischer Geräte aus Eisfeld, entwickeln ein mathematisches Modell, das im Fall von kurzfristigen Planungsänderungen die geldwerte Höhe der Abweichung von der kostenoptimalen Produktion in Echtzeit bemisst. Das Modell betrachtet vor allem die zeitliche und mengenmäßige Veränderung eines Kundenauftrags im Produktionsplan des betroffenen Unternehmens und berücksichtigt dabei Losgröße, Wiederbeschaffungszeit, die sogenannte Frozen Zone, also den Zeitraum, in dem an einem Auftrag keine Veränderungen im Produktionsplan vorgenommen werden dürfen, und die Rüstzeit, also die Zeit für die Vorbereitung der Maschine für einen bestimmten Produktionsauftrag. So erhalten nicht nur die Unternehmen selbst unmittelbar Auskunft über die veränderten Produktionskosten, sie können auch gegenüber dem Kunden präzise Aussagen zu Liefertermin und Zusatzkosten machen. Prof. Jean Pierre Bergmann, Leiter des Fachgebiets Fertigungstechnik an der TU Ilmenau, ist sich sicher, dass das AgiPro-Verfahren dem Mittelstand in zweifacher Hinsicht nützt: „Für die Unternehmen selbst ist es ein solides Entscheidungswerkzeug, es schafft aber auch Transparenz und neue Gestaltungsmöglichkeiten für den Kunden“.
Zusätzlich bedeutet der Zusammenschluss kleiner und mittlerer Unternehmen in große Netzwerke größere Flexibilität in der Region. Mehrere Unternehmen haben bei kurzfristigem Bedarf im Verbund höhere Produktionskapazitäten als ein einzelner. Die Höhen und Tiefen, die kurzfristige Planungsänderungen bei der Ressourcenauslastung der Produktionsbereiche hervorrufen, werden so abgefedert und große Aufträge müssen nicht abgelehnt, sondern können gemeinsam gemeistert werden. Dabei haben die Unternehmer im AgiPro-Projekt die Möglichkeit, die Planungsregeln innerhalb des Netzwerkes, in dem sie sich zusammenschließen, selbst mitzugestalten.
Das Projekt AgiPro ist auf zwei Jahre angelegt. Im November 2018 gestartet, können sich interessierte Unternehmen aus der Metallbranche noch bis zum Kick-off-Workshop Mitte Februar per E-Mail anmelden: maxim.reimche@tu-ilmenau.de oder telefonisch: 03677 69-3846. Bis August erarbeiten TU Ilmenau, die beteiligten Unternehmen Berghof Group und NOBLEX gemeinsam mit den teilnehmenden Betrieben das neue Verfahren, mit dem Letztere Schwankungen bei den Bestelleingängen in Zukunft effizienter handhaben werden. Bis Ende 2019 werden die teilnehmenden Unternehmensvertreter dann auf die Einführung des AgiPro-Verfahrens vorbereitet, sodass sie es ab Januar 2020 in ihren Betrieben testen können.
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